Werkbesprechung des Komponisten bei Radio Maria

Der Komponist Joël von Moos stellt das Werk «Dorothea» vor: Zu Gast bei Christian Enzler in der Musiksendung von Radio Maria.

Sendung vom 20. September 2018.



Einführung

«Es liegt im Zug der Zeit, die innere Dramatik seelischer Entwicklungen psychologisch fasslich darzustellen, auch wenn man sich bei solchen Deutungen auf Vermutungen stützen muss und subjektiven Empfindungen Vorrecht einräumt. Es geht um einen echten Nachholbedarf. Der Nutzen von Vorbildern bemisst sich auch an der Eigenerfahrung.» 

 

Pater Anselm Keel

Inspiriert durch dieses Zitat von Pater Anselm Keel über die geschichtsträchtige Figur des Niklaus von Flüe und seine Frau Dorothea, komponierte der Obwaldner Musiker Joël von Moos im Rahmen des Gedenkjahres Mehr Ranft – 600 Jahre Niklaus von Flüe ein musikalisches Werk mit dem Titel «Dorothea – Kantate zu Ehren des Niklaus von Flüe». Die Kantate wurde für die besondere Besetzung Solojodel, Männerchor, Orgel und Streichorchester geschrieben. Ende Oktober 2017 wurde das Werk in der Pfarrkirche Sachseln, in der Klosterkirche Einsiedeln und in der Hofkirche Luzern uraufgeführt.

Uraufführung der Kantate Dorothea komponiert von Joël von Moos in Sachseln.
Die Uraufführung von «Dorothea» am 22. Oktober 2017 in Sachseln. | Bild: Maximilian Lederer

«Dorothea» erzählt die Geschichte des Mystikers Niklaus von Flüe, der im Oktober 1467 seine Frau Dorothea und seine zehn Kinder verlassen hatte, um dem Ruf Gottes zu folgen. Die Kantate handelt vom Abschied der beiden Eheleute, von ihren Konflikten, Ängsten und Dorotheas Einverständnis, Niklaus ziehen zu lassen.

Renommierte Interpreten aus den Musikwelten Klassik und Jodeln

«Dorothea» vereint in seiner Besetzung nicht nur Generationen, sondern in seiner Konzeption auch die beiden Musikwelten Klassik und Jodeln. Mit Nadja Räss als «Dorothea», dem Herrenensemble der Luzerner Sängerknaben, dem Orchester Santa Maria und Wolfgang Sieber an der Orgel stehen renommierte Musikerinnen und Musiker aus beiden Sparten gemeinsam auf der Bühne. Dem Chorleiter und Dirigenten Eberhard Rex obliegt die musikalische Leitung des abendfüllenden Werks.


Werkbesprechung

von Joël von Moos

Niklaus von Flüe verabschiedete sich nach einer zwei Jahre andauernden Existenzkrise im Oktober 1467 von seiner Frau Dorothea, um sich auf eine Pilgerfahrt zu begeben, und liess sich wenig später als Eremit im nahegelegenen Ranft nieder. Zu Niklaus von Flües Weggang bestehen viele unterschiedliche Sichtweisen und Meinungen. Gerade im zeitgenössischen Kontext wird seine Entscheidung, die Familie zu verlassen, oftmals als Aktion im Zuge eines Phänomens «regretting fatherhood» gedeutet und gewertet.

Solojodlerin Nadja Räss als Dorothea in der Kantate von Joël von Moos. Bild: Maximilian Lederer
Die Solojodlerin Nadja Räss als «Dorothea». | Bild: Maximilian Lederer

Über die Gründe seines Weggangs kann man 600 Jahre später nur spekulieren

Aus historischer Sicht waren solche Pilgerfahrten im 15. Jahrhundert gängig. Dorothea war durch ihr Witwengut finanziell abgesichert und Niklausens ältester Sohn Hans war zum Zeitpunkt des Weggangs bereits fähig, den bäuerlichen Betrieb zu bewirtschaften. Aus theologischer Sicht war Niklaus von Flüe seiner Bestimmung, dem Wort Gottes gefolgt, und wurde so zum Heiligen. Dorothea gab ihm ihr Einverständnis für sein Vorhaben und stand ihm, auch während seines Eremiten-Daseins, weiterhin bei. Aus psychologischer Sicht war Niklaus von Flüe ein kriegsgeplagter Mann, der Traumata erlitten hatte, die es später zu verarbeiten galt. Niklaus reagierte mit dem Rückzug in die Einsamkeit. 

Aus mystischer Sicht erlebte Niklaus schon seit seiner Kindheit Ur-Visionen eines Absoluten, eines «Göttlichen». Der Fokus nach Innen war in der Folge eine Ausrichtung auf diese intensiven Erlebnisse.
Wolfgang Sieber an der Orgel. | Bild: Maximilian Lederer

Aus mystischer Sicht erlebte Niklaus schon seit seiner Kindheit Ur-Visionen eines Absoluten, eines «Göttlichen». Der Fokus nach Innen war in der Folge eine Ausrichtung auf diese intensiven Erlebnisse.

 

Leider stellen diese plakativ formulierten Beschreibungen einiger möglicher Sichtweisen gut dar, dass 600 Jahre später nur über die Gründe spekuliert werden kann, weshalb Niklaus diese Entscheidung wohl getroffen hatte, und was diese für Dorothea bedeutet haben muss.


Durch umfangreiche Recherche ist eine grobe Skizze möglich – mehr aber nicht

Wie ist dieser zweijährige Prozess einer Entscheidungsfindung wohl vonstatten gegangen? Welche Konflikte hatten die beiden Eheleute auszutragen? Wie ging es Niklaus dabei, wie ging es Dorothea?

 

Obwohl dem vorliegenden Libretto umfangreiche Recherchen zugrunde liegen, musste ich mein Vorhaben irgendwann aufgeben, eine präzise Zeichnung der damaligen Ereignisse anzufertigen, und stattdessen mit einer groben Skizze weiterfahren, die es – mit subjektiven Empfindungen und Vermutungen – zu kolorieren galt. Entstanden ist ein Werk, das eine mögliche Deutung auf die Bühne bringt, die nicht zum Ziel hat, eine korrekte Sicht auf die damaligen Ereignisse zu werfen.

Dirigent und Chorleiter Eberhard Rex dirigiert die Kantate Dorothea von Joël von Moos.
Der Dirigent und Chorleiter Eberhard Rex hat die musikalische Leitung inne. | Bild: Maximilian Lederer

Die Dramatik wird erst mithilfe der Musik erlebbar und ist somit nachzuvollziehen

Vielmehr geht es in «Dorothea» darum, die innere Dramatik der seelischen Entwicklungen, die Niklaus und Dorothea womöglich zu durchleben hatten, musikalisch aufzubereiten und in einem erbaulichen Werk nachvollziehbar zu machen. Dies macht «Dorothea» zum Versuch einer romantisierten und mystisch-spirituellen Deutung eines zweijährigen Abschieds.

Luzerner Sängerknaben und Orchester Santa Maria bei der Aufführung der Kantate Dorothea von Joël von Moos
Das Herrenensemble der Luzerner Sängerknaben und das Orchester Santa Maria komplettieren die Besetzung. | Bild: Maximilian Lederer

«Dorothea» anhören: